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FLUCHT und HOFFNUNG - Die Geschichte von Nizar Al Assad

Es ist mal wieder soweit. Ich möchte euch einen weiteren Menschen vorstellen, der mit seiner Familie nach Deutschland floh, damit vor allem seine Kinder eine sichere und friedliche Zukunft haben. Das Interview wurde 2018 geführt. Ob er und seine Familie heute die gleiche Entscheidung getroffen hätten? Das bleibt nur Spekulation. Dies ist Nizars Geschichte:

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Ich heiße Nizar Al Assad. Ich habe den Großteil meines Lebens in Syrien verbracht, doch ursprünglich stammt meine Familie aus Palästina. 1948 mussten sie zusammen mit meinen Großeltern nach Damaskus fliehen. Dort bin ich 1967 geboren und aufgewachsen. Unser Leben war nicht besonders schön, aber auch nicht besonders schlecht. Wir hatten eine schöne Wohnung, ein Auto, einen guten Job und viele Freunde. Doch die diktatorische Regierung, damals noch unter dem Vater von Assad, lies keine Demokratie und keine freien Parteien zu. Ich kann nicht beurteilen, ob das die Menschen dort wirklich glücklich gemacht hat. Für Demokratie müsste man einen hohen Preis, viel Blut und viele Menschenleben zahlen. Vielleicht ist ihnen das zu kompliziert. 


Ich will gar nicht darüber nachdenken, wie lange ich jetzt schon hier in Deutschland bin. Für viele ist Europa das Paradies, aber für mich nicht. Wer nach Deutschland kommt, kann sich zwar sicher fühlen, aber es bleiben viel Fragen über die Identität oder die Kultur oder die 

Zukunft offen. Vor allem, wenn man erst in meinem Alter hierherkommt. Früher war ich Bauingenieur, aber ich werde in Deutschland kaum noch mal einen Job finden, selbst wenn ich die Sprache auf diesem Niveau beherrschen würde. In Syrien ist alles kaputt, viele sind gestorben 

oder führen ein schwieriges Leben, das weiß ich ja. Und auch für meine Kinder und ihre Zukunft ist es das Beste, hier aufzuwachsen, auch das weiß ich. Trotzdem ist das Leben hier falsch für mich. 

Vielleicht stimmt ja auch mit mir etwas nicht, ich weiß es nicht. Es belastet mich, dass ich seit Jahren nicht mehr arbeiten konnte. Ich denke viel über meine Religion, meine Kultur und meine Identität nach. Ich habe ohne Arbeit einfach zu viel Zeit zum Nachdenken. Aber das Wichtigste ist, dass meine Kinder nicht gestorben sind.


Und hier gibt es ja auch viel Hilfe von der Regierung und den Menschen. In Syrien gibt es noch nicht mal Krankenhäuser, geschweige denn Arbeit oder genug Wohnungen. Trotzdem denke ich 

immer wieder darüber nach, ob wir irgendwann wieder zurückkönnen. Meine Jungs sind jetzt 14 und 7 Jahre alt. Wir sind zusammen mit meiner Frau hierhergekommen. Für sie kommt es nur darauf an, dass unsere Kinder hier in Sicherheit sind. Mein Ältester geht auf ein Gymnasium, wo er sich auch sehr wohl fühlt und Freunde gefunden hat. Jedes Mal, wenn ich ihn frage, kann er es sich nicht vorstellen, noch einmal nach Syrien zurückzukehren. Mein Kleiner kann sich 

noch nicht einmal an Syrien erinnern. Er war gerade mal anderthalb Jahre alt, als wir geflohen sind. 

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Unser Weg führte uns zunächst nach Alexandria in Ägypten, von wo aus wir mit der Hilfe eines Schleußers auf einem alten Boot zusammen mit 50 anderen nach Italien gebracht wurden. Auf einem kleinen Boot mit kaum etwas zu Essen und verdrecktem Wasser. Länger als acht Tage hätte unsere Reise nicht dauern dürfen, denn am letzten Tag gingen uns unsere Vorräte aus. Ich glaube, Schleußer sind keine guten Menschen. Sie kassieren unser Geld und sind dann 

weg. Uns überlassen sie einfach unserem Schicksal. Einige haben die Überfahrt nicht überlebt.

Damals ging es uns erst mal nur darum, europäischen Boden zu betreten. Erst als wir dort heil – oder zumindest lebend – angekommen sind, haben wir über unseren nächsten Schritt 

nachdenken können. Wir machten unsere Entscheidung von der Zukunft unserer Kinder abhängig. In Deutschland sahen wir die größten Chancen was die Schulen und Universitäten angeht. Ich hatte natürlich auch in Syrien schon einiges über Deutschland in den Medien gehört. Dass es ein starkes, demokratisches Land ist mit einer gut funktionierenden Wirtschaft. Ich habe auch einige deutsche Autoren gelesen, wie Hermann Hesse, Karl Marx, Günter Grass oder Patrick Süskind, der das Parfum geschrieben hat. Nach Mainz sind wir schließlich gegangen, weil der Bruder meiner Frau hier schon seit 20 Jahren lebt.


Meine Lieblingsschwester wohnt im Norden Schwedens, zuletzt gesehen haben wir uns vor viereinhalb Jahren. Sie fehlt mir und ich habe das Gefühl, dass ich ihr irgendwie helfen muss. Ihr ältester Sohn ist in Syrien verschwunden, weil er Probleme mit der Regierung hatte. Wir sind uns nicht sicher, ob er noch lebt, aber seit sechseinhalb Jahren haben wir nichts von ihm gehört. 

Wenn ich könnte, würde ich sofort zu meiner Schwester fahren und sie zumindest trösten, wenn ich ihr schon nicht helfen kann, ihren Sohn zu finden. Es ist auch nicht leicht, mit 51 noch mal eine neue Sprache zu lernen. Aber ich versuche es. Obwohl mir die deutsche Grammatik schon zu schaffen macht. Die, dem, der, das, den, hierher, daher, dafür darüber… Aber ich weiß natürlich, wie wichtig das ist. Ich muss deutsch lernen. Das ist die Regel, das ist das Gesetz. 


Schlechte Erfahrungen habe ich in Deutschland – abgesehen von der Sprache – bisher noch nicht gemacht. Ich denke, die Deutschen sind wie alle anderen auch, sie unterscheiden sich nicht von den Syriern oder anderen Völkern. Es gibt nicht nur gute, aber auch nicht nur schlechte Menschen. Allerdings habe ich die schlechten Deutschen bisher noch nicht getroffen. Zumindest sind alle so nett und höflich, dass sie mir immer sagen, wie gut ich schon deutsch spreche.


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